Wir bleiben zuhause, mehr Zeit für die Familie – das klingt idyllisch, doch bei vielen Eltern liegen die Nerven blank. Homeoffice, Kinderbespaßung und Homeschooling passen einfach nicht zusammen. Alle drehen am Rad und Streit ist vorprogrammiert. Meine Kollegin Melanie Busse, Verlegerin beim Sternwiese Verlag, Diplompädagogin und Psychotherapeutin, verrät euch im Interview mit mir, wie ihr als Eltern Konflikte in der Familie schon im Vorfeld verhindern könnt - und wie ihr am besten reagiert, wenn der „Donnergrummel“ dann doch kommt.

Konfliktpotenzial verringern in Corona-Zeiten

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Melanie, was hilft Familien, die aktuelle Isolation einigermaßen harmonisch zu überstehen?

Ganz wichtig finde ich einen strukturierten Tagesablauf. Versucht, Gewohnheiten beizubehalten und haltet Absprachen und Zusagen jetzt ganz besonders zuverlässig ein. Das gibt Halt und Sicherheit. Auch wenn die Möglichkeiten derzeit eingeschränkt sind, achtet auf genügend frische Luft und Bewegung für alle. Ein Spaziergang oder auch ein Trainingsvideo sorgen für inneren Ausgleich und Stressabbau. Im Moment gibt es auf YouTube ganz viele Trainingsprogramme auch für Kinder und Familien.

Viele Eltern stresst vor allem, dass sie ihre Kinder den ganzen Tag beschäftigen müssen, während sie eigentlich im Homeoffice produktiv arbeiten sollten. Wie geht man damit um?

Schafft Zeiträume, in denen sich das Kind entspannen und einfach spielen kann. Und ja, Kinder dürfen auch mal Langeweile haben. Kinder sind von Natur aus kreativ und Langeweile kann dabei sehr anregend wirken. Außerdem braucht niemand ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn der Medienkonsum der Kinder steigt. Ein altersgemäßer Kinderfilm oder ein Videospiel verschaffen eineinhalb Stunden ruhiges Arbeiten. Verabredet im Gegenzug mit eurem Kind feste, exklusive Spielzeiten, in denen ihr euch ihm ungestört widmen könnt. Noch mehr als sonst gilt in jedem Lebensbereich das Pareto-Prinzip: mit 20 Prozent Einsatz 80 Prozent erreichen!

Wie sorge ich dafür, dass mein Kind in der aktuellen Lage keine Angst bekommt?

Ältere Kinder und Teenager sind wahrscheinlich ohnehin gut informiert – in den Klassenchats ging es zwischenzeitlich um kaum etwas anderes. Jüngeren Kindern solltet ihr die Situation altersgerecht erklären, sie haben ja ohnehin längst gemerkt, dass gerade alles anders ist – keine Kita oder Schule mehr, keine Besuche bei Oma und Opa. Achtet darauf, dass die Kinder nicht ungefiltert Medien konsumieren, sondern recherchiert gemeinsam Antworten auf Fragen, die sie sich gerade stellen. Geht offen offen mit euren eigenen Gefühlen um. Kinder haben sehr feine Antennen, dafür, wenn die Eltern gestresst oder ängstlich sind. Ohne eine Erklärung dafür ist die Gefahr groß, dass sie es auf sich beziehen. Darum ist es ganz wichtig, dass das Kind versteht, warum ihr gerade anders reagiert als sonst – und zum Beispiel nicht die übliche Geduld für Geschwisterstreitigkeiten aufbringen könnt.

Richtig streiten lernen

Apropos Streitigkeiten: Wenn doch mal ein Thema etwas lebhafter ausdiskutiert wird, welche Regeln helfen dabei, fair zu bleiben und sich bald wieder zu vertragen?

Es ist wichtig, Konflikte zu klären. Vermiedenes oder gar verdrängtes schwelt weiter und macht das Problem im Endeffekt nur noch größer. Und auch beim Streiten können Kinder etwas lernen – wenn der Streit konstruktiv ist. Ihr solltet dafür einen ruhigen Zeitpunkt auswählen. Dann gilt es, jeden zu Wort kommen und in Ruhe aussprechen zu lassen. Bestimmt habt ihr schon von den berühmten „Ich-Botschaften“ gehört. Es geht darum, bei sich zu bleiben und die Gefühle zu beschreiben, die das Verhalten des anderen in einem selbst ausgelöst hat, statt diesen mit Vorwürfen zu überschütten. Vermeidet Verallgemeinerungen und Übertreibungen wie „Immer machst du …“ oder „Nie hast du …“. Äußert lieber eure Wünsche und sammelt gemeinsam Ideen, wie sich die Situation für alle verbessern kann. Spielerisch streiten und Lösungen finden lernen können Kinder zum Beispiel mit der Aktivbox „Monsterpakt“.

Hast du noch einen letzten guten Tipp, der gestressten Familien hilft, durchzuhalten?

Verliert das Positive nicht aus dem Blick. Sammelt trotz allem kleine Glücksmomente und überlegt jeden Abend gemeinsam: Was habe ich heute gut gemacht? Über was habe ich mich heute gefreut? Vielleicht führt ihr ein Glückstagebuch. Helft euch in der Familie gegenseitig, macht Komplimente und überlegt, was vielleicht auch positiv an der Situation sein könnte. Das Spiel Ich@familie unterstützt den positiven Austausch und bringt Familienmitglieder einander näher. Und ein glückliches und harmonisches Familienleben ist das, was jetzt wohl gerade am meisten hilft, gut durch diese Zeit zu kommen.

Konflikte wegspielen

Melanie ist Diplompädagogin und Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche aus Bielefeld. 2011 hat sie den Sternwiese Verlag gegründet und entwickelt seitdem therapeutisch-pädagogische Spiele, Materialien und Bücher für Eltern, Pädagogen und Therapeuten. Im Mittelpunkt steht dabei die kindliche Gefühls- und Gedankenwelt.

Das Spiel Ich@Familie haben wir bereits selbst getestet und können es wirklich empfehlen. Indem sie Fragen über sich beantworten, ihre Mitspieler einschätzen, ihre Meinung sagen, Gefühle pantomimisch darstellen oder an einem Quiz teilnehmen, sammeln die Spieler Schlüsselkarten. Spannend wird es immer, wenn auf dem schön gestalteten Spielfeld eine Tür durchquert werden muss. Nur wer den passenden Schlüssel hat - oder drei andere Schlüssel abgibt - darf hindurchtreten und kommt weiter. Der Gewinner des Spiels darf eine Familienaktivität aussuchen.

 

Diese Notfallnummern bieten Hilfe, wenn der Streit zu heftig wird

Telefonseelsorge 0800 11 10 111 oder 0800 11 10 222

Kinder- und Jugendtelefon 0800 11 10 333 oder 116 111

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000 116 116

Opfer-Telefon: 116 006

Hilfstelefon sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530

Hilfstelefon für Täter oder zur Straftat Neigende: 0800 70 222 40